Allegro-Hochgeschwindigkeitszug Sm6 – Russland / Finnland

Allegro-Hochgeschwindigkeitszug – 12.12.2010 © Wikipedia Autor Otto Karikoski (CC BY-SA 3.0)

Allegro-Hochgeschwindigkeitszug – 12.12.2010 © Wikipedia Autor Otto Karikoski (CC BY-SA 3.0)

Entwicklung der internationalen Verbindung Helsinki – Sankt Petersburg

Russland hatte Anfang der Zweitausenderjahre Interesse an grenzüberschreitenden Bahnverbindungen – nach Warschau, Berlin und Helsinki.[1][2] Ursprünglich wollte Russland dafür ihre eigenen Hochgeschwindigkeitszüge entwickeln, aber technische und finanzielle Schwierigkeiten zwangen zum Kauf von etablierten Hochgeschwindigkeitszügen aus dem Ausland. Für den innerrussischen Hochgeschwindigkeitsverkehr konnte Siemens mit dem Velaro punkten, doch für die etwa 400 Kilometer lange russisch-finnische Verbindung Sankt Petersburg – Helsinki entschied man sich für Pendolino-Hochgeschwindigkeitszüge.[3] Die Wurzeln gehen auf das Jahr 2001 zurück, als der damalige russische Staatschef Wladimir Putin gemeinsam mit der finnischen Staatspräsidentin Tarja Halonen die internationale Schienenschnellverbindung ins Leben riefen.[2] Später gründeten die Russischen Eisenbahnen (RŽD) und die Finnische Staatseisenbahn (VR) die Gesellschaft „Oy Karelian Trains“. Im September 2007 bestellte sie bei Alstom, der inzwischen Fiat Ferroviaria aufgekauft hatte, vier Pendolino-Neigezüge.[4]

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Technische Besonderheiten der Baureihe Sm6

Auf den ersten Blick ähneln die siebenteiligen Pendolini der Baureihe Sm6 den schon in Finnland rollenden Sm3. Doch technisch gesehen seien die Unterschiede erheblich. Die Sm6 haben die Neigetechnik der ETR 600 erhalten.[3] Einer anderen Quelle nach sollen die Sm6 aber doch eher vom ETR 460 abgeleitet worden sein.[4] Da die Züge durch kalte Klimazonen fahren müssen, soll es im Vergleich zu den italienischen Verwandten bedeutende Änderungen für den Winterbetrieb geben; welche das sind, wird aber in der mir zur Verfügung stehenden Literatur nicht erwähnt.[4] Für den internationalen Verkehr sind die Hochgeschwindigkeitszüge mit den finnischen und russischen Signalisierungssystemen ausgestattet. Auch was die Sicherheits- und Kommunikationssysteme angeht, müssen die Sm6 für beide Länder tauglich sein. In Finnland wird die Oberleitung mit 25 kV 50 Hz gespeist, in Russland mit 3 kV Gleichspannung. Die finnische Breitspur beträgt 1524 mm; das sind vier Millimeter mehr als in Russland. Doch die Züge müssen an der Grenze nicht umgespurt werden. Auch sind die Bahnsteige verschieden hoch; ausklappbare Stufen ermöglichen das sichere Ein- und Aussteigen der Fahrgäste. Die Sm6 sind für eine Höchstgeschwindigkeit von 220 Stundenkilometer ausgelegt.[3]

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Der Sm6 von innen

Die große Wagenbreite von 3,2 Metern erlaubt geräumige Sitzgelegenheiten. Bis zu 352 Reisende finden im Allegro Platz. Das Interieur sieht edel aus. In der Business Class sind 2+1 Sitze über die Wagenbreite verteilt. Beige-sandfarbene Töne kontrastieren mit dezent-violetten Flächen und Ledersitzen. In der Economy Class sind die Sitze mit hellgrauem Stoff bezogen und in der Anordnung 2+2 installiert. Ein Speisewagen sorgt für das kulinarische Wohl an Bord. Dieser teilt sich auf in ein Bistro mit Sitzgelegenheiten für 34 Besucher. Im zweiten Teil des Restaurantwagens befindet sich eine Bar mit Stehplätzen an Tischen. Für die Kleinen ist in einem Mittelwagen ein Spielbereich eingerichtet worden. Fahrgäste in Rollstühlen können mit einer elektrisch betriebenen Hebebühne an Bord gehoben werden.[5][6]

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Die Allegro-Hochgeschwindigkeitszüge im Einsatz

Oy Karelian Trains vermarktet die Sm6 als „Allegro“-Züge, die im Dezember 2010 ihr Debüt gaben. Bei der Premierenfahrt mit 200 geladenen Gästen – darunter Präsident Putin und Präsidentin Halonen – erreichte der Allegro eine Spitzengeschwindigkeit von 220 km/h. Für das Jahr 2011 war ein 25-prozentiger Fahrgastzuwachs prognostiziert worden, also 250.000 Reisende.[1] 2010 pendelten zweimal am Tag die Züge zwischen den Metropolen. 2011 wurden es vier Zugpaare pro Tag. Mit dem Ausbau der Infrastruktur und dem Entfallen des Haltes für die Grenzkontrollen konnte die Fahrzeit auf 3 Stunden 27 Minuten gedrückt werden.[4][7]

Während der Covid-19-Pandemie war der Allegro-Verkehr weitgehend eingestellt. Erst zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 konnte der reguläre Betrieb wiederaufgenommen werden. Doch die strengen Corona-Maßnahmen setzten gültige Impfungen mit einem EU-gültigen Vakzin voraus; Sputnik gehörte nicht dazu.[8] Auch durften keine Bürger aus Drittstaaten den Allegro nutzen. Dementsprechend leer waren die Züge, weswegen nur noch zwei Garnituren pro Tag fuhren.[9]

Am 09.12.2021 unterzeichneten die Russischen Eisenbahnen (RŽD), Karelian Trains und das finnische Eisenbahninstandhaltungsunternehmen VR FleetCare einen 20-Jahres-Vertrag über die Wartung und Modernisierung der vier Allegro-Hochgeschwindigkeitszüge. Damit wurde bestätigt, dass die bisherige, 10-jährige Zusammenarbeit zur vollsten Zufriedenheit verlief. Gewartet werden die Züge weiterhin in Helsinki.[8]

Mit dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine musste auch der Allegro-Betrieb eingestellt werden. Finnen kehrten nach Hause, einige Russen nutzen den Fluchtweg mit dem Pendolino-Superzug. Im März 2022 waren täglich etwa 700 Reisende mit dem Allegro unterwegs, um Russland zu verlassen. Zum 28.03.2022 wurde der Allegro-Verkehr endgültig eingestellt.[3]

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Technische Daten: Sm6
Zug- / Baureihenbezeichnung:Allegro Sm6
Einsatzland:Russland
Hersteller:Alstom
Anzahl der Züge:4 Züge
Zugtyp:Triebwagenzug
Anzahl der Endwagen:2 Endwagen
Anzahl der Mittelwagen:5 Mittelwagen
Anzahl der Sitzplätze 1. / 2. Klasse / Restaurant:48 / 329 / 34
Baujahre:2007–2010
Inbetriebnahme:12.12.2010
Spurweiten:1524 mm
1520 mm
Technisch zugelassene Höchstgeschwindigkeit:220 km/h
Antriebsleistung des Zuges:5.500 kW ( (nach [5]: 4000 kW) )
Jakobsdrehgestelle:Nein
Neigetechnik:Ja
Zug fährt auch in Traktion:Nein
Anzahl der Achsen / davon angetrieben:28 / 8
Länge / Breite / Höhe der Endwagen:27.200 / --- / --- mm
Länge / Breite / Höhe der Mittelwagen:25.000 / --- / --- mm
Achslast (maximal):17 t
Leergewicht:480 t
Leergewicht des Zuges im Detail:(nach [5]: 387 t)
Zuglänge:186,6 m
Ausrangiert:27.03.2022

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Quellenangaben

  1. „‚Sokol‘-Erprobung“, Eisenbahn-Revue International, 4/2001, S. 176.
  2. „Erster Highspeed-Zug quert finnisch-russische Grenze“, Spiegel Online, 13.12.2010.
  3. „Letzter Zug zwischen St. Petersburg und Helsinki“, NTV, 28.03.2022.
  4. „Finnland – Die neuen ‚Allegro‘“, in: Thomas Estler: „Schnelle Züge weltweit“, Transpress Verlag Stuttgart, 1. Auflage 2011, S. 20.
  5. Tomas Meyer-Eppler: „Bildatlas der schnellsten Züge“, Geramond Verlag, ISBN: 978-3-86245-105-X, S. 12.
  6. Video: „Exclusive Tour of the High-Speed Allegro Train“, Firebird Tours, 23.04.2018.
  7. „From Saint Petersburg to Helsinki by Allegro Fast Train“, rail.cc, 03.06.2019.
  8. „Finnland/Russland: Wiederaufnahme des Allegro-Verkehrs – VR FleetCare wartet Allegro-Züge“, LOK-Report, 10.12.2021.
  9. „Der letzte Zug nach Westen: St. Petersburg – Helsinki ist die einzige Eisenbahnstrecke, auf der man aus Russland derzeit noch in die EU kommt“, Neue Züricher Zeitung, 07.03.2022.